Ambiguitätsintoleranz im Homöopathiediskurs

Laut Hans-Georg Gadamer ist ein Gespräch bekanntlich dann ein Gespräch, wenn der andere Recht haben könnte [1]. Was den Homöopathiediskurs angeht, ist es schon lange kein Gespräch mehr. Es wird nicht sachlich diskutiert, sondern in Kriegsmetaphorik aufeinander eingedroschen [2].

Warum nur wird dieser Streit über ein Randphänomen der Medizin mit solcher Vehemenz ausgetragen? Warum vergeht kaum ein Tag, in dem die Homöopathie nicht in den Leitmedien als eindeutig unwissenschaftlich, längst widerlegt und darüber hinaus als gefährlich dargestellt wird – und zwar nicht nur von Kritikern, sondern auch von Journalistinnen und Journalisten?

Erklärungen bieten die Begriffe Ambiguitätsintoleranz und Vereindeutigung, Begriffe, die der Islamwissenschaftler Thomas Bauer in einem lesenswerten Essay verwendet [3].

Der Begriff Ambiguitätstoleranz wurde 1949 von der österreichisch-amerikanischen Psychoanalytikern Else Frenkel-Brunswik als Persönlichkeitseigenschaft in die Psychologie eingeführt. Unter Ambiguitätstoleranz versteht man die Fähigkeit, Phänomene der Mehrdeutigkeit, der Unentscheidbarkeit und Vagheit zu ertragen. Laut Wikipedia sind ambiguitätstolerante Personen „in der Lage, Ambiguitäten, also Widersprüchlichkeiten, kulturell bedingte Unterschiede oder mehrdeutige Informationen, die schwer verständlich oder sogar inakzeptabel erscheinen, wahrzunehmen, ohne darauf aggressiv zu reagieren oder diese einseitig negativ oder […] vorbehaltlos positiv zu bewerten“. [4]

Thomas Bauer sieht in der Ambiguitätsintoleranz ein Kennzeichen vieler aktueller gesellschaftlicher Prozesse: „Meine These lautet nun, dass unsere Zeit eine Zeit geringer Ambiguitätstoleranz ist. In vielen Lebensbereichen – nicht nur in der Religion – erscheinen deshalb Angebote als attraktiv, die Erlösung von der unhintergehbaren Ambiguität der Welt versprechen. Diese gelten ihren Anhängern und Jüngern als besonders zeitgemäß und fortschrittlich und haben vielfach die Diskurshoheit in ihrem jeweiligen Feld erobert. Demgegenüber wird Vielfalt, Komplexität und Pluralität häufig nicht mehr als Bereicherung empfunden. Diese Entwicklung führt zu dem, was im Titel dieses Essays als Vereindeutigung der Welt bezeichnet wird: ein Weniger an Bedeutungen, an Ambiguität und an Vielfalt in allen Lebensbereichen.“ [5]

Die Parallelen zum Homöopathiediskurs liegen auf der Hand.

Vereindeutigung

Die Sichtweise auf die Homöopathie und die zugehörige Datenlage ist maßgeblich geprägt von einem Bestreben zur Vereindeutigung: Auf der einen Seite die eindeutig wissenschaftliche evidenz-basierte Medizin, die immer eindeutig hilfreich ist, auf der anderen Seite die eindeutig unwissenschaftliche Homöopathie, eindeutig nicht besser als Placeboeffekt und bisweilen sogar schädlich.

Das öffentliche Bild, das die Kritiker malen, ist in Schwarz und Weiß gezeichnet, sämtliche Grautöne fehlen. Und dabei weiß eigentlich jeder, der sich in der Medizin auskennt, dass die Grautöne in allen Bereichen überwiegen.

Denn auch die evidenz-basierte Medizin ist in vielen Bereichen keineswegs eindeutig bewiesen. Jede neue Leitlinie wird kritisch diskutiert, neue Medikamente und neue Verfahren sind in aller Regel umstritten, die Datenlage zu den meisten Problemfeldern ist noch uneinheitlich. Eindeutigkeit herrscht fast nirgends, Gewissheit fast ebenso selten. Gerade in der täglichen Praxis ist Medizin ein stetes Abwägen und Herantasten im Einzelfall. Und das, was heute richtig ist, kann morgen schon wieder falsch sein, bevor es übermorgen eine Renaissance erlebt.

Das alles ist kein Grund, die evidenz-basierte Medizin abzulehnen; Medizin und Wissenschaft sind im Fluss, und niemand möchte auf die vielen segensreichen Entwicklungen verzichten. Aber es ist ein Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit, diese Tatsachen in öffentlichen Diskussionen zu berücksichtigen.

Die Datenlage zur Homöopathie ist ebenfalls nicht so eindeutig, wie es immer wieder suggeriert wird. Man kann die Datenlage genauso gut auch folgendermaßen zusammenfassen: Wenn es einen arzneimittelspezifischen Effekt gibt, ist er klein – aber es ist auch nicht bewiesen, dass es keinen arzneimittelspezifischen Effekt gibt. Außerdem zeigt die Homöopathie in Outcome-Studien immer wieder gute Ergebnisse, woraus geschlussfolgert werden darf, dass – wenn es denn nur der Placeboeffekt sein sollte – dieser in der Homöopathie offensichtlich gut genutzt wird. Diese Lesart der Datenlage ist möglich, und man steht nicht automatisch außerhalb des wissenschaftlichen Diskurses, wenn man die Vielzahl der Untersuchungen auf diese Art und Weise wissenschaftlich interpretiert. [6]

Bemerkenswert ist auch der Umgang mit Nachteilen und Gefahren von konventioneller Medizin und Homöopathie:  Innerhalb der konventionellen Medizin werden die zum Teil erheblichen Gefahren und Risiken derselben selbstverständlich thematisiert [7] – wenn Kritiker jedoch gegen die Homöopathie argumentieren, werden diese Missstände regelmäßig ausgeblendet; gleichzeitig jedoch werden mögliche Gefahren der Homöopathie hervorgehoben, ohne dass es dazu überhaupt belastbare Studien gibt.

Ambiguitätsintoleranz

Eine Erklärung für die Schwarz-Weiß-Malerei der Kritiker liegt vermutlich in einem ausgeprägten Mangel an Ambiguitätstoleranz. Man weigert sich offensichtlich, Grautöne wahrzunehmen und zu akzeptieren, und zwar sowohl was die evidenz-basierte Medizin als auch was die Homöopathie angeht.

Dazu passt, dass Homöopathiekritiker auch in anderen Bereichen wenig Ambiguitätstoleranz zeigen. Der Streit um die Homöopathie ist nämlich auch ein Streit um Weltbilder. Die so genannten Skeptiker, organisiert in den Brights oder der GWUP, kämpfen beispielsweise nicht nur gegen Homöopathie und andere komplementärmedizinische oder alternative Verfahren, sondern auch gegen Religion, Mystizismus, Transzendenz etc. Viele ihrer Anhänger bekennen sich zum Neuen Atheismus [8], sie betrachten Glauben und Religion als irrational, anti-wissenschaftlich und gefährlich. Es scheint, als seien diese Gruppierungen auf der Suche nach einer Art Erlösung von der unvermeidbaren Ambiguität dieser Welt. Alles wird vereindeutigt, es gibt nur noch ganz richtig oder ganz falsch; Vielfalt, Komplexität und Pluralität (Faktoren, die für viele komplementärmedizinische Bereiche konstituierend sind) werden vermieden.

Wahrheitsobsession, Geschichtsverneinung, Reinheitsstreben

Thomas Bauer weist in seinem Essay auch auf die Verbindungen zwischen Ambiguitätsintoleranz und Fundamentalismus hin:

„Wer Eindeutigkeit erstrebt, wird darauf beharren, dass es stets nur eine einzige Wahrheit geben kann und dass diese Wahrheit auch eindeutig erkennbar ist. Eine perspektivische und damit nicht-eindeutige Sichtweise auf die Welt wird abgelehnt. […] Der Komplementärbegriff zu »Wahrheit« ist nun der der Wahrscheinlichkeit. Ein klassischer islamischer Jurist beanspruchte nicht, in seinem Gutachten die Wahrheit, sondern nur eine mit guten Gründen fundierte wahrscheinlich richtige Lösung gefunden zu haben. Auch Parlamente demokratisch verfasster Staaten verkünden keine Wahrheit, sondern suchen lediglich die aller Wahrscheinlichkeit nach angemessenste Lösung.“ [9]

Medizin hat mit Politik und Jurisprudenz eine entscheidende Gemeinsamkeit, alle drei Fachgebiete sind praktische Wissenschaften [10]. Schließlich wird auch in der täglichen medizinischen Praxis stets nach der wahrscheinlich besten Lösung, die es aktuell für ein konkretes Individuum in einer konkreten Situation gibt, gesucht.

Bauer zeigt weiterhin, dass der Glaube an eine einzige Wahrheit zu Geschichtsverneinung führt: „Wenn es nur eine einzige Wahrheit gibt, dann muss diese auch überzeitlich gültig sein. Hat man zu bestimmten Zeiten bestimmte Dinge anders gesehen und anders interpretiert, können diese Sichtweisen und Interpretationen nur falsch sein, weil es anderenfalls ja mehrere Wahrheiten geben müsste.“ [11]

Dies führt nach Bauer zum dritten prägenden Wesenszug des Fundamentalismus, dem „der Reinheit, der sich vielfältig mit dem der Eindeutigkeit überschneidet. Nur dann, wenn etwas rein ist, kann es eindeutig sein.“ [12]

Bauer fasst zusammen: „Wahrheitsobsession, Geschichtsverneinung und Reinheitsstreben sind also drei Wesenszüge bzw. Grundbegriffe von Ambiguitätsintoleranz, die die Basis jedes Fundamentalismus bilden.“ [13]

Wahrheitsobsession (Homöopathie ist Unfug, nur die evidenz-basierte Medizin ist wahre Medizin) und Geschichtsverneinung (nur die derzeitige wissenschaftliche Medizin ist wirklich wissenschaftlich) sind Merkmale, die auch den Aussagen der Homöopathiekritiker oft zu eigen sind. Und was das Reinheitsstreben angeht, erwecken Kritiker und Gegner häufig den Eindruck, als würden sie Berührungspunkte zwischen Homöopathie und konventioneller Medizin als eine bedrohliche Kontamination erleben, weswegen sie die reine Medizin von einer solchen als unrein empfundenen Methode säubern möchten.

Es soll jedoch nicht verschwiegen werden, dass es auch innerhalb der Homöopathie fundamentalistische Strömungen gibt, die sich durch Wahrheitsobsession, Geschichtsverneinung und Reinheitsstreben auszeichnen, und die dazu beitragen, dass sich der Diskurs im Kreise dreht.

Homöopathie in den Leitmedien

Es mag wenig verwundern, dass Kritiker in solchen Schwarz-Weiß-Bildern verhaftet sind. Ambiguitätsintoleranz scheint Kräfte freizusetzen, die man im täglichen Kampf gegen Mehrdeutigkeiten und Vagheit gut gebrauchen kann.

Verwunderlich jedoch ist die Tatsache, dass das Schwarz-Weiß-Narrativ der Kritiker inzwischen auch in den Leitmedien fast vollständig übernommen wurde, obwohl es doch eine der Kernaufgaben des Journalismus ist, die unvermeidlichen Graustufen eines jeden Diskurses darzustellen. Selbst die seltenen journalistischen Kommentare, in denen die Homöopathie als harmlose aber ansonsten nicht weiter zu bekämpfende Therapie dargestellt wird, übernehmen (vermutlich unbedacht) das Schwarz-Weiß-Bild der Homöopathiegegner, indem auch sie behaupten, dass Homöopathie eben nicht mehr sei als eine Placebotherapie. Auf die Grautöne der Datenlage wird auch in diesen eigentlich wohlwollenden und um Ausgleich bemühten Kommentaren nicht näher eingegangen.

Die so genannten Skeptiker, medial vertreten durch nur wenige Personen, die immer wieder zitiert werden, haben damit die Diskurshoheit gewonnen. Es ist ihnen durch beschwörende Wiederholung von Schlagwörtern gelungen, die meisten Journalistinnen und Journalisten davon zu überzeugen, dass die Homöopathie nicht nur angezweifelt werden darf, sondern verneint und ablehnt werden muss.
Skepsis an der Homöopathie ist zwar durchaus berechtigt, denn es gibt tatsächlich eine Vielzahl an Implausibilitäten. Aus einer solchen Skepsis jedoch die totale Verneinung zu konstruieren, hat weniger mit Skeptizismus zu tun als mit einem Hang zur Radikalität.

Die Sichtweise auf die Homöopathie in den Leitmedien ist inzwischen kaum noch von der Sichtweise der Homöopathiekritiker zu unterscheiden. Dieser Umstand verblüfft von Jahr zu Jahr mehr. Und er hinterlässt das ungute Gefühl, dass über die Zukunft der Homöopathie nicht mehr Patientinnen und Patienten auf der einen und Ärztinnen und Ärzte auf der anderen Seite entscheiden, sondern Journalistinnen und Journalisten, die sich von der Schwarz-Weiß-Malerei fundamentalistischer Kritikergruppierungen haben blenden lassen.

Ausblick

In einem festgefahrenen Streit kommt es darauf an, dass sich einer der Beteiligten zuerst bewegt. Wer könnte das im Streit um die Homöopathie sein? Es spricht nichts dafür, dass sich die Kritiker und Gegner in naher Zukunft zu einer differenzierteren Sichtweise und moderateren Sprache [14] werden durchringen können.

Angesichts des zweihundert Jahre alten Diskurses ist es ebenfalls unwahrscheinlich, dass sich die Homöopathiebefürworter und -anwender der Sichtweise von Kritikern und Gegnern anschließen. Die Argumente, die gegen die Homöopathie sprechen, sind für sie offensichtlich nicht so überzeugend, dass sie zwingend zu einer Verhaltensänderung führen.

Hinzu kommt, dass der Streit um die Homöopathie eine Art Stellvertreterkrieg zwischen verschiedenen Weltbildern ist, eine Tatsache, die eine irgendwie geartete Auflösung oder Beilegung fast unmöglich erscheinen lässt.

Homöopathiegegner suchen nun nach radikalen Lösungen, üben Druck auf Politiker und Funktionäre aus und fordern, dass die Homöopathie vom Gesetzgeber verboten werden soll. Aber was wäre damit gewonnen? Die Geschichte der Homöopathie im deutschen Kaiserreich [15] zeigt, dass sich die Ausübung dieser Methode dann in die Hände von Laien verlagern würde. Homöopathie würde zu einer Art Untergrund-Medizin mutieren, und ob das wirklich wünschenswert ist, muss bezweifelt werden.

Da sich die beiden unmittelbaren Kontrahenten also vermutlich nicht aufeinander zubewegen werden, darf man nur hoffen, dass sich wenigstens mehr Journalistinnen und Journalisten auf ihre Kernkompetenz besinnen und zukünftig häufiger Grautöne in ihre Berichte, Reportagen und Kommentare einfließen lassen.

Eine solchermaßen differenzierte Berichterstattung trüge ihren Teil dazu bei, dass die seit jeher pluralistisch angelegte Medizin [16] auch weiterhin in sinnvollem Umfang pluralistisch bleibt. Praktische Medizin kann ja gar nicht anders als mehrdeutig und vielfältig gedacht werden.

Literatur

[1] „Ein Gespräch setzt voraus, dass der andere Recht haben könnte.“ — Hans-Georg Gadamer, im Interview mit Thomas Sturm. DER SPIEGEL 8/2000 21.02.2000, S. 305.

[2] Schmitt E: “Wissenschaftlich wirkungslos” vs. “Wer heilt, hat recht”. Eine diskurslinguistische Untersuchung zum Homöopathiediskurs. Magisterarbeit (Magisterstudiengang Germanistik, Soziologie und Wirtschaftswissenschaften), Institut für Sprach- und Literaturwissenschaft, TU Darmstadt, 2017. https://www.linglit.tu-darmstadt.de/media/linglit/mitarbeitende/janich/abschlussarbeiten/Schmitt_eva_Homoeopathiediskurs_2017.pdf;
Vgl. https://www.informationen-zur-homoeopathie.de/?p=1053

[3] Bauer T: Die Vereindeutigung der Welt. Über den Verlust an Mehrdeutigkeit und Vielfalt. Ditzingen: Reclam, 10. Aufl. 2018.

[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Ambiguit%C3%A4tstoleranz. Abruf am 16.11.2019.

[5] Bauer T: S. 30.

[6] Zum aktuellen Stand der Forschung zur Homöopathie vgl. beispielsweise: http://www.wisshom.de/wisshom.de/dokumente/upload/7cda0_forschungsreader_2016_ergschutzgeb%c3%bchr_180713.pdf
Hahn RG: ‚Homeopathy: Meta-Analyses of Pooled Clinical Data‘, Forsch. Komplementärmedizin 2013; 20: 376-381

[7] “No one should be harmed while receiving health care. And yet globally, at least 5 patients die every minute because of unsafe care,” said Dr Tedros Adhanom Ghebreyesus, WHO Director-General. https://www.who.int/news-room/detail/13-09-2019-who-calls-for-urgent-action-to-reduce-patient-harm-in-healthcare

[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Neuer_Atheismus#cite_ref-11, Abruf am 16.11.19.

[9] Bauer T: S. 27.

[10] Wieland W: Diagnose: Überlegungen zur Medizintheorie. Berlin, New York: de Gruyter; 1975. Nachdruck = Warendorf: Hoof; 2004.

[11] Bauer T: S. 28.

[12] Bauer T: S. 29.

[13] Bauer T: S.29.

[14] Schmitt, S. 97, weist nach, dass sich Homöopathiebefürworter in der Debatte um einen sachlichen Austausch bemühen, wohingegen sich die Gegner häufiger emotional und provokant äußern: „Das erweckt den Anschein, dass die Homöopathie, vor allem die ärztliche Homöopathie, sich vom Heilpraktiker-Image deutlich zu lösen versucht, und durch vermehrt rational wissenschaftliches Argumentieren auch sprachlich Anschluss an die akademische Medizin finden möchte. Diese hingegen zeigt sich nicht selten polemisch und emotional in ihren Aussagen.
Eine strikte Trennung in sachlogische und emotionale Aussagen und Argumentationen lasst sich somit nicht fest machen. Inhaltlich bleiben die Homöopathiebefürworter an Emotionen und Erfahrungen gebunden, versuchen jedoch, die Wirksamkeit homöopathischer Präparate vermehrt wissenschaftlich und rational zu belegen. Die Homöopathiegegner berufen sich nach wie vor auf eine rationale Wissenschaft, jedoch tun sie dies auch provokant und emotional.“

[15] Im deutschen Kaiserreich war die Homöopathie zwar nicht verboten, aber es gab so wenige ärztlich-homöopathische Behandler, dass die Homöopathie hauptsächlich von Laien, häufig organisiert in Vereinen, ausgeübt wurde. Wischner M: Kleine Geschichte der Homöopathie, Essen: KVC, 2 Aufl., 2018.

[16] Vgl. https://www.informationen-zur-homoeopathie.de/?p=1020

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Zur „Inszenierung der Homöopathiedebatte“ – eine diskurslinguistische Untersuchung zum Homöopathiediskurs

In den vergangenen Jahren ist es schon zur Gewohnheit geworden, dass sich der Wissenschaftsjournalismus in fast allen bekannten Medien in zunehmendem Maße ablehnend gegenüber der Homöopathie äußert (vgl. [1]). Differenzierte, sorgfältig recherchierte Stellungnahmen zu den entsprechenden Artikeln sind zwar verfügbar (vgl. [2]), werden aber kaum in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Mittlerweile haben auch die großen politischen Parteien in Deutschland die Debatte auf die Tagesordnung gesetzt (vgl. [3]) und streiten zum Teil auch parteiintern heftig über Sinn und Unsinn der „Globuli“ und die „Scharlatanerie“, die mit der Homöopathie „getrieben“ werde.

Wie konnte es so weit kommen, dass ausgerechnet die Homöopathie – im Grunde nur eine Randerscheinung im Gesundheitssystem – bei Journalisten, Politikern und Funktionären eine derartige Geltung erlangt hat? Über dieses Phänomen ist schon viel gemutmaßt und geschrieben worden, befriedigende Antworten wurden bisher nicht gefunden.

Eine hochinteressante Arbeit, die den Homöopathiediskurs einmal aus einem völlig anderen Blickwinkel betrachtet, ist unter dem Titel: ‚Wissenschaftlich wirkungslos‘ vs. ‚Wer heilt, hat recht‘. Eine diskurslinguistische Untersuchung zum Homöopathiediskurs von Eva Schmitt als Magisterarbeit an der Universität Darmstadt vorgelegt worden [4]. Auf diese, mitsamt Anhang 165 Seiten umfassende, sprachwissenschaftliche Untersuchung soll im vorliegenden Beitrag ein genauerer Blick geworfen werden, da darin einige neue Aspekte der Debatte sichtbar gemacht werden (alle folgenden Zitate stammen – soweit nicht anders gekennzeichnet – aus dieser Arbeit).

Fragestellung und Methodik

Wie bereits der Titel der Arbeit deutlich machen soll, bewege sich der Gesundheitsdiskurs im Spannungsfeld zwischen Erfahrungswissen und Wissenschaftlichkeit. Im Rahmen einer linguistischen Diskursanalyse können aktuelle gesellschaftliche Kontroversen aufgegriffen, auf erkenntnistheoretische Fragestellungen Bezug genommen und das Verhältnis von Sprache, Gesellschaft und Wirklichkeit beleuchtet werden, erläutert die Autorin in der Einleitung. Die Bedeutung der in den Medien vehement geführten Homöopathiedebatte für die außersprachliche Wirklichkeit solle mithilfe eines diskurslinguistischen Modells abgeleitet werden.

Als Analysekorpus hat die Autorin öffentlich zugängliche Zeitungsartikel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (F.A.Z.) und der Süddeutschen Zeitung (SZ) ausgewählt. Um einen historischen Vergleich zu ermöglichen, wurden jeweils die Jahrgänge 1996/1997 und 2016/2017 nach einschlägigen Artikeln zum Thema Homöopathie durchsucht. Die ausgewählten 17 Artikel aus der F.A.Z. und 21 Artikel aus der SZ sind im Anhang der Magisterarbeit dokumentiert.

Das für die Auswertung verwendete „diskurslinguistische Mehr-Ebenen-Analyse-Modell (DIMEAN) nach Warnke und Spitzmüller“ wird im Kap. 5 der Arbeit ausführlich vorgestellt. Da hier nicht der Platz ist, alle Details zu erläutern, mögen zur Einordnung der nachfolgend dargestellten Ergebnisse folgende Eckdaten genügen: Nach Warnke und Spitzmüller ist Wissen nicht „Erkenntnissicherung zeitloser, ontologischer Fakten, sondern ein sozial verhandeltes Gut der Vergesellschaftung, das Resultat von Vereinbarungen auf der Grundlage historischer, gegenseitiger Zusagen“; Sprache bilde die Wirklichkeit nicht nur ab, sondern schaffe sie zugleich; durch die Analyse von Aussagen können gesellschaftliche Wissens- und Machtstrukturen beschrieben werden. Mithilfe des DIMEAN-Modells untersucht man verschiedene Ebenen eines Textes: 1. die Ebene der Akteure (Handlungsmuster, sozialer Status, Interaktionen etc.) 2. die intratextuelle Ebene (Aussagen, Schlüsselwörter, Metaphern etc.) und 3. die transtextuelle Ebene (die eigentliche diskurslinguistische Dimension: Ideologien, Historizität, Topoi etc.).

Ergebnisse zur Analyse der Akteursebene

Alle in den Artikeln genannten bzw. zitierten Akteure bekleiden einen höherrangigen Posten in einer Institution oder einer Interessensvereinigung. Dabei haben diese Personen unterschiedlich starke Voices („Fähigkeit, sich in bestimmten Situationen ‚Gehör‘ zu verschaffen, also das selbstgesteckte kommunikative Ziel zu erreichen“). Vor allem die Ärzteschaft war gut vertreten: Auf der einen Seite stehen die „klassischen“ Ärzte (Tenor: Der Nachweis eines wirksamen Therapieprinzips ist nicht gelungen), auf der anderen die homöopathisch tätigen (Tenor: Durch die Homöopathie entstehen neue Therapieoptionen). Netzwerke und Stiftungen leisten auf beiden Seiten öffentlichkeitswirksame Lobbyarbeit (z.B. Carstens-Stiftung, WissHom, DZVhÄ, Skeptikergruppen). Patienten und Heilpraktiker hatten dagegen keine Möglichkeit, sich in F.A.Z. oder SZ zu äußern – es werde über sie gesprochen, aber nicht mit ihnen.

Der Kampf um Autorität und Macht wird durch die diskurssteuernden Akteure, sog. Ideology Brokers, gesteuert. Hierbei gibt es 2 gegensätzliche Positionen: a) Homöopathie sei „wissenschaftlich wirkungslos“ (die behaupteten Kausalwirkungen widersprächen den Grundfesten unseres Wissenschaftsverständnisses); b) „Wer heilt, hat recht“ (unzählige Patienten hätten von der Homöopathie profitiert; der große Erfolg der Homöopathie sei den Gegnern ein Dorn im Auge, weil Hochpotenzen ihrem vermeintlich rational-materialistischen Weltbild widersprächen). Als Paradebeispiel für diese Positionen werden die Artikel Das Geschwür der Homöopathie (akademischer Mediziner) und Homöopathen kann die Forschung nicht schrecken (DZVhÄ) genannt, die die klarsten Selbst- und Fremdzuweisungen für die Benennung des Gegenübers haben.

Während Homöopathiekritiker vermehrt verklärende oder abwertende Begriffe verwenden würden (z.B. „Esoterik-Behandler“, „Pseudomedizin“, „Paramedizin“, historische Anomalie“, „Scharlatanerie“ u.a. –  so genannte Stigmawörter), seien die Befürworter stärker auf korrekte Ausdrücke und sachliche Sprache bedacht, die nicht verwendet würden, um das Gegenüber zu diskreditieren. Im Vergleich der Jahrgänge 1996/1997 und 2016/2017 sieht die Autorin vor allem Veränderungen in den Diskursgemeinschaften, beispielsweise habe die Skeptikerbewegung ihre Position ausgebaut. WissHom habe dagegen nicht dieselbe Präsenz. Die „selbst sprechende“ Akteursgruppe der befürwortenden Politiker sei 2016/2017 nicht mehr zu finden.

Zugleich wird aber auch festgestellt, dass die „Darstellung der Diskurspositionen und -gemeinschaften verdeutlicht, dass persönliche Denkmuster, Wertvorstellungen und Weltanschauungen den Akteur zum Befürworter oder zum Gegner im Homöopathiediskurs machen, nicht der Beruf oder die wissenschaftliche Ausbildung“.

Ergebnisse der intratextuellen Analyse

Hierbei geht es um das vermittelte Wissen und sprachliche Phänomene: Die Bezeichnung der „Schulmedizin“ als „wissenschaftliche, etablierte, reguläre, konventionelle, herkömmliche Medizin“ solle Rückhalt und Sicherheit vermitteln; in Bezug zur Homöopathie verwendete Adjektive wie „sanft, ganzheitlich, unkonventionell, andersartig, besonders, human“ würden als emotional stimulierend und argumentationssteuernd wirken und gerade deswegen als Schlüsselbegriffe im Homöopathiediskurs von der Gegenseite vehement angegriffen. Neben den schon erwähnten Stigmawörtern sei die Bezeichnung „Globuli“ ein auffälliges, wiederkehrendes Schlagwort, welches Homöopathika als „nutzlose Pillen“ darstellen solle.

Wie ein roter Faden zögen sich die Schlagwörter „Wissenschaft“ und „wissenschaftlich“ durch den gesamten Diskurs. Diese so genannten Hochwertwörter würden von beiden Diskursgemeinschaften regelmäßig verwendet und interessensspezifisch eingesetzt, wobei ein „semantischer Kampf und die Besetzung dieser positiv konnotierten Wörter“ zu beobachten sei. Die Gegner würden versuchen, auch positive Studien als unseriös darzustellen, Studienfehler seien jedoch in keiner der von WissHom zitierten Arbeiten (bezogen auf [5]) nachgewiesen worden. Somit drehe sich der Diskurs immer wieder im Kreis – man spricht von „publizistischen Dauergästen“.

Die Debatte werde geprägt von Paradigmenauseinandersetzungen, Polarisierungen, Emotionalisierungen und der Unvereinbarkeit der vertretenen Standpunkte. Es gehe nicht um „die neutrale Etablierung und Ausdifferenzierung von Wissen, sondern um Auseinandersetzungen zwischen Wissenschaftlern um Wissensprioritäten, Wissensgültigkeit, wissenschaftlichen Status und Wissenschaftsförderung. Semantische Kämpfe in der Medizin sind diskursiv angelegt und nicht ausschließlich wissensbezogen“.

Ferner hat die Autorin eine Häufung der Kriegs- und Religionsmetaphorik festgestellt. Metaphern werden nicht nur als Redeschmuck verstanden, sondern als strukturiertes Denken, Reden und Handeln. Wortwendungen wie „laufen Sturm“, „tiefer Graben zwischen“, „Feldzug gegen“, „einem Dammbruch gleich“; „Glaubenskrieg“, „Entrüstungssturm“, „brandmarken“, „eindämmen“, „schwer unter Beschuss“, „vernichtendes Urteil“, „Kulturkampf“, „Anfeindungen“; „Siegeszug“ etc. verdeutlichten das Ausmaß der Debatte, die oft von Aggressivität dominiert wird. Letztlich mache die Kriegsmetaphorik eine Beilegung des Diskurses unmöglich. Außerdem werde der Diskurs als „Frage des Glaubens“ und somit als religiöse Frage konstituiert, was durch Wortwendungen wie „Zweifel säen“, „man muss es nur glauben“, „fällt vom Glauben ab“, „Propheten und Jünger“, „scheiden sich die Geister“, „Esoterik“, „Sektierertum“, „Glaubenslehre“, „mystisch orientierte Medizinmänner“; „Wallfahrt“ etc. zum Ausdruck gebracht wird. Im Begriff „Glaubenskrieg“ vereinen sich die beiden Metaphernfelder: Es werde damit versucht zu vermitteln, dass „der Glaube an die Homöopathie den Grund für den Krieg mit der Schulmedizin liefert“.

Kontra-Argumentationen: Wissenschaftliche Aussagen würden dazu genutzt, eine „beinahe uneingeschränkte Autorität“ auszuüben, gegnerische Standpunkte zu widerlegen und die Homöopathie zu degradieren. Drei Unterargumente erschienen dabei besonders produktiv in der Debatte: 1. „wirkstofffrei und wirkungslos“, 2. „Homöopathieeffekte sind Placeboeffekte“, 3. „Patienten müssen geschützt werden“.

Pro-Argumentationen: Hierbei werde vermehrt auf die emotional empirische Ebene gebaut. Die wesentlichen Unterargumente lauten: 1. „Grundsätze mit langem Erfahrungswissen“, 2. „viele Anwender, viel Erfolg“, 3. „empirische Belege und Nachweise“.

Die Autorin zusammenfassend: „Die Homöopathiegegner sprechen der Homöopathie die Wissenschaftlichkeit und damit die Wirksamkeit ab. Ambitioniert wollen sie die potentiellen Patienten informieren und aufklären, um sie vor Schaden zu bewahren. Die Homöopathiebefürworter befinden sich in Verteidigungsposition und sehen das aufklärerische Tun der Gegner begründet im eigenen Erfolg, den die Gegner der Homöopathie aus Konkurrenzgründen nicht gönnen. Es zeigt sich von Seiten der Homöopathiegegner eine rational wissenschaftliche Argumentation als dominant, bei den Homöopathiebefürwortern lässt sich von einer empirischen, also auf Erfahrungswissen begründeten, Argumentation sprechen.“

Schließlich werden die Sprachstrategien analysiert, die in folgende Kategorien eingeteilt werden: Verstärkung der Glaubwürdigkeit, Diskreditierung des Gegners, Solidarisierungsbestrebungen und Versuch der Faktizitätsherstellung. Eine Aufzählung der unzähligen (und bestens bekannten) Argumente – Stichwort: „Bodenseeargument“ – würde hier mehrere Seiten in Anspruch nehmen und kann in der Originalarbeit nachgelesen werden. Die Autorin schlussfolgert aus ihrer Analyse, dass bezüglich der Diskussion um die Studienlage eine Umstimmung der gegnerischen Seite nicht mehr möglich sei, da Forschungen gegenseitig nicht mehr anerkannt werden: Es sei eine „Patt-Situation eingetreten, in der der Nachweis der Wirksamkeit oder Nichtwirksamkeit nur noch einen verkürzten öffentlichen Effekt der Aufmerksamkeitserregung hat. Es wird schon auf die Widerlegung gewartet“.

Appelle an Werte, Moral und Gerechtigkeit durchziehen ebenfalls den gesamten Diskurs. Dabei seien die Diskussionen in beiden Zeiträumen (1996/1997 und 2016/2017) ähnlich polemisch und provokant geführt worden. Die gefundenen Aussagen sind den Homöopathiegegnern zuzurechnen und zeigen deren „Emotionalität in der Debatte, trotz ihrer Forderung nach Sachlichkeit“.

Die so genannte Ein-Argument-Methode als Pauschalargument („homöopathische Arzneimittel enthalten keinen Wirkstoff“) wird so weit betrieben, dass schließlich ein Forschungsverbot für Homöopathiebefürworter gefordert wird – dies komme einem Allmachtsanspruch der Homöopathiegegner gleich. Dies zeige sich auch darin, dass die Skeptikervereine eine „Nulltoleranz-Haltung“ sogar den positiven Studien gegenüber entgegenbringen.

Abschließend zeigt die Autorin auf, dass zwar von einer „gewissen Dialogizität“ gesprochen werden könne; allerdings werde nicht miteinander gesprochen, sondern in direkter Reaktion übereinander. Eine strikte Trennung in sachlogische und emotionale Aussagen ließe sich in den untersuchten Texten nicht festmachen.

Ergebnisse der transtextuellen Analyse

Da Diskurse als historisch gewachsene Phänomene anzusehen seien, müssen Aussagen in Diskursen immer im historischen Kontext beurteilt werden: Zum einen würden die Diskursteilnehmer selbst „Historizität generieren“, zum anderen prägten „geschichtlich verwurzelte Wissenssedimente und Traditionen“ den Diskurs. Der Homöopathiediskurs sei ideologisch geprägt, da er eine Grundsatzdebatte über die wissenschaftliche Evidenz ihrer Wirksamkeit führe. Die Homöopathiegegner bezögen sich auf ein rational naturwissenschaftliches Weltbild, in welchem wissenschaftliche Erkenntnisse das „Erklärungswissen“ generieren; die Homöopathiegegner verfolgten ein Weltbild, das „über die Wissenschaft hinaus oder neben ihr noch weitere Erklärungsmodelle zulässt, die durch Erfahrungswissen generiert sind“.

Auch auf dieser Ebene werden die untersuchten Zeiträume (1996/1997 und 2016/2017) verglichen: Es handelt sich um dieselben Diskurspositionen. Die vorgetragenen Aufrufe zum Dialog können „die gegensätzlichen ideologischen Vorstellungen nicht vereinen, was eine komplementäre oder integrative Ausrichtung der Homöopathie erschwert. Wie die Ergebnisse der linguistischen Mehr-Ebenen-Analyse zeigen, ist für den Homöopathiediskurs eine Expertenorientierung kennzeichnend. Der Wissenschaft wird hier eine eindeutige Machtposition im Diskurs zugeschrieben, die durch die Medien in ihren Veröffentlichungen gestützt wird“.

Aus den Schlussbemerkungen der Magisterarbeit

Befürworter und Gegner der Homöopathie stünden sich seit 180 Jahren in einem provokant und beharrlich geführten Diskurs gegenüber. Charakteristisch auf verschiedenen Analyseebenen sei die Trennung in zwei Lager. Eine neutrale Diskussion sei nicht zu finden.

Durch den Fokus auf die Zeitungsberichterstattung könne von einer „Inszenierung der Homöopathiedebatte“ ausgegangen werden, die eine Generalisierung der Untersuchungsergebnisse auf den Gesamtdiskurs nicht zulasse.

Eine emotional wertende Ausdrucksweise werde vermehrt auf homöopathiegegnerischer Seite wahrgenommen und sei einem vermehrt reflektierten Argumentieren der Befürworterseite geschuldet.

Nach Foucault sei eine Veränderung von Wissen nicht Wissenszuwachs, sondern „Veränderung der diskursiven Formationen“. In der Homöopathiedebatte zeige sich, dass neue Studien – und somit neues Wissen – keine Veränderung bringen. Typisch für den Diskurs sei zudem, dass er auf „Machtgewinn und Machterhaltung ausgerichtet“ sei.

Eine Annährung der beiden Weltbilder mit ihren divergierenden Wissenschaftsauffassungen sei nicht zu erwarten. Geändert werden könne aber – auf beiden Seiten – die Sprache, wodurch wiederum Denk- und Handlungsmuster durchgesetzt und außersprachliche Wirklichkeit konstituiert werden können.

Kommentar

Was ist nun so besonders interessant an dieser Arbeit zum Homöopathiediskurs? Der Autorin ist es mithilfe eines sprachwissenschaftlichen Ansatzes gelungen, einen Schritt zurückzutreten und eine nüchterne, sachliche Analyse der Homöopathiedebatte vorzunehmen, wie sie insbesondere in den Printmedien geführt wird. Dabei wird für keine Seite Partei ergriffen, sondern es werden Stärken, Schwächen und Eigenarten der jeweiligen Argumentationsmuster offengelegt. Die Aufdeckung sprachlicher Momente und Strategien wirft ein neues Licht darauf, wie starr die Debatte seit langem geführt wird. Eine wirkliche Diskussion, ein echter Gedankenaustausch scheint überhaupt nicht stattzufinden, es geht vielmehr um den reinen, inzwischen auch vorhersehbaren Schlagabtausch in Kriegsmetaphorik zwischen den Diskursgemeinschaften.


Quellen

[1] Homöopathie – ein Stiefkind des Wissenschaftsjournalismus. https://www.informationen-zur-homoeopathie.de/?p=799

[2] Fakten aus der Wissenschaft zu Naturheilkunde und Homöopathie. https://www.naturundmedizin.de/faktencheck.html

[3] Die Grünen und die Forschung: Wie haltet ihr es mit Wissenschaft? https://www.faz.net/aktuell/wissen/geist-soziales/gruenen-und-die-forschung-wie-haltet-ihr-es-mit-wissenschaft-16396797.html

[4] Schmitt E: „Wissenschaftlich wirkungslos“ vs. „Wer heilt, hat recht“. Eine diskurslinguistische Untersuchung zum Homöopathiediskurs. Magisterarbeit (Magisterstudiengang Germanistik, Soziologie und Wirtschaftswissenschaften), Institut für Sprach- und Literaturwissenschaft, TU Darmstadt, 2017. https://www.linglit.tu-darmstadt.de/media/linglit/mitarbeitende/janich/abschlussarbeiten/Schmitt_eva_Homoeopathiediskurs_2017.pdf

[5] Der aktuelle Stand der Forschung zur Homöopathie. https://www.wisshom.de/wisshom.de/dokumente/upload/7cda0_forschungsreader_2016_ergschutzgeb%c3%bchr_180713.pdf

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Australischer Homöopathie-NHMRC-Report – der erste Bericht auf Druck der Öffentlichkeit nun veröffentlicht – mit erstaunlichen Ergebnissen … !

Der australische NHMRC-Report zur Homöopathie wurde 2015 in der Presse und Gesundheitspolitik als das Ende der Homöopathie (mal wieder)  dargestellt, da er zum Schluss kam, dass für keine Indikation belastbare Evidenz aus wissenschaftlichen Studien vorlag. Die Presse machte daraus, dass es keine positiven Studien für Homöopathie gäbe, was ja nicht stimmt.

Die australischen Homöopathieorganisationen und das Homeopathic Research Institute (HRI) aus London  deckten dann in Folge auf, dass der staatlich beauftragte Report den größten Teil des verfügbaren wissenschaftlichen Materials de facto ausgeschlossen hat und am Ende die Aussage nur auf 5 ausgewählten Arbeiten basierte, die Schlussfolgerung des Berichtes war: “…there are no health conditions for which there is reliable evidence that homeopathy is effective”. Zudem wurden relevante und nicht deklarierte Interessenskonflikte (z.B. Mitgliedschaft eines beauftragten Experten in einer antihomöopathischen Skeptikerorganisation) innerhalb der Kommission aufgedeckt.

Irgendwann wurde klar, dass es sich hier um einen zweiten Homöopathie-Bericht handelte, was die Frage aufwarf, was mit dem ersten Bericht geschah. Es wurde dann aufgedeckt, dass ein erster Bericht unveröffentlicht existierte, nicht öffentlich einsehbar. Die australischen Homöopathen bezeichneten diesen ersten Bericht als „suppressed“.

Auf Druck des HRI, der australischen Homöopathen und der Öffentlichkeit wurde dieser 293 Seiten umfassende erste Bericht zur Homöopathie von 2012 nun endlich, 4 Jahre später, veröffentlicht.

Erstaunliches gibt es da zu lesen. Die für die Homöopathie relevanteste zusammenfassende Passage des ersten Berichtes lautet:

„There is encouraging evidence for the effectiveness of homeopathy on

  • Fibromyalgia (Grade C)
  • Otitis media (Grade C)
  • Post-operative ileus (Grade C)
  • Upper respiratory Tract Infections in adults (Grade C)
  • Side effects in cancer treatments (Grade C)
    • prophylaxis of acute dermatitis during radiotherapy
    • chemotherapy induced stomatitis“

Der erste Bericht kann nun auf der Webseite des HRI eingesehen werden: https://www.hri-research.org/resources/homeopathy-the-debate/the-australian-report-on-homeopathy/

Was folgt daraus? Die australischen Kollegen und das HRI müssen weiter unterstützt werden, darauf zu bestehen, dass diese fragwürdigen Vorkommnisse  um die Berichte vollständig aufgedeckt werden.

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Methodenpluralismus, Skeptizimus und das Grundgesetz – zu einem Beitrag von Peter Matthiessen

„Angesichts fehlender Plausibilität zu den Wirkprinzipien der Homöopathie ist es Mode geworden, deren therapeutische Wirksamkeit in Abrede zu stellen, obwohl die hierzu publizierte Evidenz für eine Wirksamkeit spricht“, schreibt Prof. Dr. Peter Matthiessen, Vorsitzender des Sprecherkreises des Dialogforum Pluralismus in der Medizin (DPM) und Leiter der Abteilung Methodenpluralität in der Medizin am Institut für Integrative Medizin (IfIM) an der Universität Witten/Herdecke, in einem lesenswerten Beitrag in der Zeitschrift für Onkologie, welcher von mehreren Ärztegesellschaften und 39 Ärzten und Forschern unterzeichnet wurde [1].

Matthiessen widerlegt hierin nicht nur die vielen, in den letzten Jahren von Kritikern gebetsmühlenartig vorgetragenen Argumente, die die Wirksamkeit der Homöopathie in Abrede zu stellen versuchen – er spricht von „unhaltbaren nationalen und internationalen Pauschalangriffen“ –, sondern geht auch auf juristische Aspekte ein. Konkret erwähnt er das Grundgesetz: „In einem laizistischen Staat wie Deutschland ist aber dem Staat gemäß §5 Abs. 3 des Grundgesetzes ein Wissenschaftsrichtertum im Sinne der Parteiergreifung für ein bestimmtes Paradigma grundsätzlich untersagt. […] Insofern ist es dem Staat verfassungsrechtlich untersagt, einen bestimmten Wissenschaftsansatz bzw. ein bestimmtes medizinisches Paradigma zu privilegieren.“

Das DPM, dem Matthiessen vorsitzt, habe sich ein geflügeltes Wort Hans-Georg Gadamers zu eigen gemacht, der im Alter von 100 Jahren nach der Quintessenz seiner Philosophie gefragt wurde: „Der Andere könnte Recht haben.“ Man führe kein Gespräch, wenn der Andere nicht Recht haben könnte. „Ein monoparadigmatischer Reduktionismus führt aber – bedacht oder nicht bedacht –“, so Matthiessen weiter, „am Ende stets in eine totalitäre Ideologie, für die die dogmatische Ideologie alles, der Respekt vor dem Selbststimmungsrecht des Bürgers, der Toleranz gegenüber Vertretern anderer Denk- und Praxisansätze, dem individuellen Erkenntnisstreben und der Achtung der Menschenwürde nichts bedeutet. Wollen wir eine solche durch totalitäre Strukturen geprägte Entwicklung in unserem Land für die Medizin und das Gesundheitswesen?“

Mit diesem Aufsatz Matthiessens wird der aktuellen Diskussion um die Homöopathie ein neuer, interessanter Aspekt hinzugefügt. „Der andere könnte auch Recht haben“ – so formuliert das DPM Gadamers Quintessenz. Die so genannte Skeptikerbewegung (vgl. dazu [2]) setzt sich darüber jedoch bewusst hinweg. Sie möchte nicht mehr diskutieren, hält alles für längst gesagt und bewiesen, so dass man die Homöopathie einfach nur noch abschaffen möchte.

Es ist erstaunlich, dass sich derart totalitäre Denkmuster „skeptisch“ nennen. Denn gerade der Skeptizismus läuft auf Gewaltenteilung hinaus. Odo Marquard, der vor wenigen Jahren verstorbene Gießener Philosoph, drückte es so aus: „Skepsis ist der Sinn für Gewaltenteilung“ (vgl. [3]). Ein politischer Pluralismus beispielsweise wäre ohne Skeptizismus gar nicht denkbar: Man misstraut dem Absolutismus, der Diktatur, der Monarchie oder anderen zentral gebündelten Machtstrukturen und setzt stattdessen auf die Trennung der Gewalten – weil es ja nicht ausgeschlossen ist, dass sich eine der Parteien irrt oder zu mächtig werden will, so dass mit der Gewaltenteilung immer schon ein Regulativ verbunden ist.

Im Alltag bedeutet das, dass ein vernünftiger Skeptizismus für Pluralismus einsteht und gerade nicht für Dogmatismus. Das kann auch auf Wissenschaften im Allgemeinen und die Medizin im Besonderen angewendet werden. Pluralismus hat der Medizin noch nie geschadet, war ja auch seit jeher die Regel, nicht die Ausnahme. Wahre Skeptiker sind also eher Pluralisten, die so genannten Skeptiker „skeptischer“ Organisationen tendieren dagegen zum Dogmatismus.

Literatur

  1. Matthiessen PF: Homöopathie und intellektuelle Redlichkeit – Eine Stellungnahme. Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2018; 50: 172–177. https://doi.org/10.1055/a-0758-9471
  2. Behnke J: Die Homöopathie und die Geschichte der Skeptikerbewegung in den USA. Zwischen Wissenschaftsdogmatismus und politischem Agendasetting. Zeitschrift für Klassische Homöopathie 2017; 61(3): 124-128. https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.1055/s-0043-117548
  3. Leonhardt R: Skeptizismus und Protestantismus: Der philosophische Ansatz Odo Marquards als Herausforderung an die evangelische Theologie (Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie, Band 44). Mohr: Tübingen 2003, S. 109f
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Faktencheck Homöopathie – neuer Blog von Dr. Jens Behnke

Um gezielter Meinungsmache und bloßen Behauptungen zur Homöopathie in den diversen Medien endlich Fakten aus der Wissenschaft gegenüberzustellen, hat Natur und Medizin e.V. eine neue Seite „Faktencheck“ eingerichtet:
https://www.naturundmedizin.de/faktencheck.html
Sie wird von Dr. Jens Behnke, Programmleitung Homöopathie in Forschung und Lehre bei der Karl und Veronica Carstens-Stiftung, betreut. Neben bereits bestehenden Seiten wie beispielsweise „Homöopathie Online“ des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) oder der Seite „FAQ Homöopathie“ des Homeopathy Research Institute (HRI) gibt es nun eine weitere Internetressource, um eine objektivere und möglichst faktenbasierte Diskussion über die Homöopathie zu ermöglichen.

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Rhus toxicodendron-Potenzen beeinflussen neuropathische Schmerzen

Rhus toxicodendron steht seit vielen Jahren im Interesse der Grundlagenforschung. Beispielsweise wurde bereits ein antientzündlicher Effekt durch homöopathische Präparate gezeigt [1], außerdem immunmodulatorische und antientzündliche Effekte bei Arthritis [4, 6-9] und positive Effekte bei Krebserkrankungen [2, 3].

Eine Gruppe um den indischen Pharmakologen Shital Magar hat nun in einem hochrangigen Journal, Scientific Reports (impact factor 4,1), neue Ansätze präsentiert [5, https://www.nature.com/articles/s41598-018-31971-9]:

Zunächst wurden dabei verschiedene Effekte in vitro geprüft: Dabei zeigte sich, dass Rhus toxicodendron in geringen Dosierungen (Potenzstufen D8, D12, D24, und D30) eine Wirkung auf Glioblastomzellen hatte, die zuvor oxidativem Stress ausgesetzt wurden. Die Anzahl der kompromittierten Zellen nahm durch die Zugabe von Rhus toxicodendron signifikant ab. Ebenso wurden proinflammatorische Zytokine (TNF-α, IL-1β, IL-6 and IL-10) signifikant durch Rhus toxicodendron reduziert. Die verschiedenen Potenzen wurden gemäß der Indian Homeopathic pharmacopoeia hergestellt.

In einem in vivo-Experiment mit Mäusen wurden weitere Effekte gezeigt: Nachdem den Tieren durch Quetschen des Ischiasnervs künstlich Schmerzen zugefügt worden war („mechanical allodynia in CCI-induced neuropathic pain“ – CCI steht hier für „chronic constriction injury“), konnten die Schmerzen durch die Verabreichung von Rhus toxicodendron über 14 Tage (Verdünnung 1 × 10−12, entspricht einer D12) reduziert werden. Die Effekte waren ähnlich wie die von Gabapentin, einem auch in der Humanmedizin eingesetzten Medikament, allerdings nicht ganz so stark. Wie zuvor in den in vitro-Tests wurden auch hier der oxidative Stress und entsprechende Zytokine (s.o.) signifikant beeinflusst.

Besonders interessant ist eine anschließende histologische Untersuchung der Ischiasnerven bei den Versuchstieren: Im Vergleich zur Kontrollgruppe wurde bei den mit Rhus toxidodendron oder Gabapentin behandelten Mäusen ein Schutz des Nervs vor CCI-induzierten Veränderungen gezeigt, es kam zu weniger pathologischen Strukturveränderungen.

Die Autoren schlussfolgern, dass Rhus toxicodendron in Hochpotenzen einen neuroprotektiven Effekt hat. Somit müsse es therapeutisch bei neuropathischen Schmerzen eingesetzt und weiter untersucht werden.

Literatur

  1. Dos Santos A, Perazzo F, Cardoso L, Carvalho J. In vivo study of the anti-inflammatory effect of Rhus toxicodendron. Homeopathy. 2007 Apr;96(2):95-101.
  2. Guimarães, FS et al. Stimulation of lymphocyte anti-melanoma activity by co-cultured macrophages activated by complex homeopathic medication. BMC Cancer. 2009 Aug 22;9:293. doi: 10.1186/1471-2407-9293.
  3. Karp JC et al. Treatment with Ruta graveolens 5CH and Rhus toxicodendron 9CH may reduce joint pain and stiffness linked to aromatase inhibitors in women with early breast cancer: results of a pilot observational study. Homeopathy. 2016 Nov;105(4):299-308. doi: 10.1016/j.homp.2016.05.004. Epub 2016 Aug 9.
  4. Lee KJ, Yeo MG: Homeopathic Rhus toxicodendron has dual effects on the inflammatory response in the mouse preosteoblastic cell line MC3T3-e1. Homeopathy. 2016 Feb;105(1):42-7. doi: 10.1016/j.homp.2015.09.004. Epub 2015 Oct 23.
  5. Magar S, Nayak D, Mahajan UB, Patil KR, Shinde SD, Goyal SN, Swaminarayan S, Patil CR, Ojha S, Kundu CN: Ultra-diluted Toxicodendron pubescens attenuates proinflammatory cytokines and ROS-mediated neuropathic pain in rats. Sci Rep. 2018 Sep 10;8(1):13562. doi: 10.1038/s41598-018-31971-9.
  6. Patel DR et al. Toxicodendron pubescens retains its anti-arthritic efficacy at 1M, 10M and CM homeopathic dilutions. Homeopathy. 2012 Jul;101(3):165-70. doi: 10.1016/j.homp.2012.02.007.
  7. Patil CR et al. Immunomodulatory activity of Toxicodendron pubescens in experimental models. Homeopathy. 2009 Jul;98(3):154-9. doi: 10.1016/j.homp.2009.02.011.
  8. Patil CR et al. Dual effect of Toxicodendron pubescens on Carrageenan induced paw edema in rats. Homeopathy. 2009 Apr;98(2):88-91. doi: 10.1016/j.homp.2009.01.003.
  9. Patil CR et al. Modulation of arthritis in rats by Toxicodendron pubescens and its homeopathic dilutions. Homeopathy. 2011 Jul;100(3):131-7. doi: 10.1016/j.homp.2011.01.001.

 

Ergänzung (9.9.2019):

Am 11. Juni 2019 haben die Herausgeber der Scientific Reports das Papier zurückgezogen. Sie begründen Ihren Schritt unter anderem damit, dass das in vitro Modell nicht die wichtigste Schlussfolgerung der Arbeit, dass Rhus tox Schmerzen reduziert, unterstützt.

Die Herausgeber weisen in ihrem Kommentar auf verschiedene Fehler hin, die nach Veröffentlichung bemängelt worden waren, z.B. eine Doppelung von Abbildungen. Daraufhin wurde erneut Expertenrat eingeholt, der die Aussagen der Arbeit als nicht vertrauenswürdig einstufte. Warum die bemängelten Fehler im ersten Reviewprozess (immerhin handelt es sich um die Scientific Reports) nicht aufgefallen sind, bleibt unerklärt, ebenso die Frage, warum den Autoren nicht die Möglichkeit zur Nachbesserung gegeben wurde.

Quelle: https://www.nature.com/articles/s41598-019-44557-w

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Neuer Wisshom-Blog

Es gibt einen neuen Wissenschaftsblog von Wisshom, den Prof. Harald Walach editiert. In einem ersten Beitrag beschäftigt er sich mit der negativen Stellungnahme einer Arbeitsgruppe des  EASAC (European Academies Science Advisory Council)  zur Homöopathie). Der Kommentar ist sehr lesenswert: http://www.homöopathie-forschung.info/easac/

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Homeogenomics: Veränderung der Genexpression durch Homöopathie

Eine bislang wenig wahrgenommene Forschungsrichtung im Bereich der homöopathischen Grundlagenforschung sind die so genannten „Homeogenomics“. Schon seit bald 20 Jahren werden Effekte potenzierter homöopathischer Arzneien am menschlichen Genom beschrieben. Hierzu ist kürzlich eine Übersichtsarbeit in einer Zeitschrift der ARH erschienen, die die Arbeiten der letzten 20 Jahre prägnant zusammenfasst [1].

Kay und Khuda-Bukhsh definieren „Homeogenomics“ wie folgt: Molekularbiologische Untersuchungen, die zum Verständnis der Wechselwirkungen zwischen homöopathischen Präparaten und dem menschlichen Genom beitragen sollen [2]. Die bisherigen Studien haben gezeigt, dass diese Wechselwirkungen tatsächlich existieren, beispielsweise in der Up- und Down-Regulation bestimmter Gene, welche deren Expression und Aktivität verändern. Es bestehe Hoffnung, dass durch die genaue Analyse der durch eine homöopathische Substanz beeinflussten Gene die Auswahl der individuellen homöopathischen Arznei für den Patienten unterstützt werden könnte. Insbesondere in der Onkologie wurden bereits einige Arzneimittel detailliert untersucht.

Eine zentrale Rolle in der bisherigen Forschung spielt der mittlerweile emeritierte Professor Anisur R. Khuda-Bukhsh aus Kalyani/Indien: Als ehemaliger Vorstand des zoologischen Instituts der Universität von Kalyani hat er rund 320 Arbeiten publiziert, viele davon in hochrangigen internationalen Journalen. Im Jahre 1997 erschien die erste wichtige Arbeit zu diesem Thema, die die Wirkung homöopathischer Mittel auf das Genom postulierte [3]. Seitdem sind zahlreiche Arbeiten verschiedener Autoren und Arbeitsgruppen erschienen, die diese Annahmen stützen. Einige Beispiele dazu, wie homöopathische Präparate die Expression zahlreicher Gene beeinflussen können (s. Literaturangaben dazu unter [1]):

  • Gelsemium sempervirens wirke auf die Up- bzw. Down-Regulation von mindestens 49 Genen, dabei auch auf sechs Gene, die menschliche Neuroblastom-Zellen regulieren. Auch für Hydrastis canadensis und Condurango sind solche Wirkungen untersucht worden.
  • Ob solche Wirkungen am Genom auch konkrete, positive Auswirkungen für Patienten haben, wird derzeit untersucht. Es scheinen beispielsweise bestimmte Entzündungsmediatoren angesprochen zu werden, die bei Autoimmunkrankheiten oder bei Allergien eine Rolle spielen.
  • Im Bereich der Onkologie gibt es Ansätze, die Genregulation bezüglich Apoptose, Regulation des Zellzyklus, Autophagie und Angiogenese zu untersuchen. Im Fokus steht dabei beispielsweise das Tumorsuppressorgen TP53, dass das Protein p53 codiert. Letzteres spielt unter anderem bei der Angiogenese und der Aktivierung von Reparaturproteinen eine wichtige Rolle. Effekte durch Phytolacca decandra, Condurango, Thuja officinalis, Carcinosinum und Lycopodium clavatum (in unterschiedlichen Potenzen, von Urtinkturen bis C200) konnten bereits gezeigt werden.
  • Im Bereich der Epigenetik wird untersucht, wie im Detail diese Veränderungen der Genexpression vonstatten geht. Dabei spielt die Methylierung der DNA eine wichtige Rolle. Hierbei wurde unter anderem die Promotorregion von TP53 untersucht und die Wirkung von Condurango bei der Demethylierung im Rahmen einer epigenetischen Modifikation an Krebszellen gezeigt. Ähnliche Effekte sind für Hydrastis canadensis beschrieben.

Kay und Khuda-Bukhsh schlussfolgern aus den bisherigen Daten, dass „homeogenomische und homeogenetische“ Überlegungen den Weg für die Entwicklung eines wirkungsvollen Therapiesystems im Sinne einer personalisierten Medizin bahnen könnten [1].

[1] Kay PH, Khuda-Bukhsh AR: An introduction to homeogenomic considerations in innovation of high dilution technology. Homeopathy in practice, Spring/Summer 2016, p.46-52 (http://www.a-r-h.org)

[2] Kay PH, Khuda-Bukhsh AR: The contribution of homeogenomic and homeogenetic studies in the support of the practice of Homoeopathy. Indian J Res Homoeopathy 2016;10: 101-107

[3] Khuda-Bukhsh AR: Potentized homoeopathic drugs act through regulation of gene-expression: a hypothesis to explain their mechanism and pathways of action in vitro. Complement Ther Med 1997 (5): 43-46

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Neue Informationen zur Homöopathie-Forschung

Diesen Sommer sind diverse Informationen zur Homöopathie-Forschung überarbeitet oder ganz neu erstellt worden:

Die FAQ des britischen Homeopathic Research Institutes sind nun auch auf Deutsch verfügbar: https://www.hri-research.org/de/homeopathy-faqs/

Der Forschungsreader zur Homöopathieforschung von Wisshom steht nun auch auf Englisch zur Verfügung: http://www.wisshom.de/index.php?menuid=102&getlang=en

Ein nachdenkliches Editorial von Harald Walach zur Zukunft der Homöopathie ist in der Forschenden Komplementärmedizin erschienen: https://www.karger.com/Article/Pdf/448970

Ein neuer homöopathischer Blog zur Forschung ist online: http://www.in-zukunft-homoeopathie.de/

Viel Freude beim Lesen!

 

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Aktueller Bericht fasst den Stand der Forschung zur Homöopathie zusammen

In den letzten Tagen war im Kontext des deutschen Homöopathie-Kongresses ein großes Presseinteresse an der Homöopathie zu beobachten. Mehrere Leitmedien bezeichneten Homöopathie als „Hokuspokus“ oder „Scheintherapie“. Die Wissenschaftliche Gesellschaft für Homöopathie hat nun einen Bericht verfasst, der den Forschungsstand auf Basis der Daten aus internationalen Fachzeitschriften mit Peer Review-Verfahren zusammenfasst. Die wichtigsten Ergebnisse sind:

  1. Homöopathische Behandlung ist unter ärztlichen Alltagsbedingungen (Praxis) klinisch nützlich (Perspektive Versorgungsforschung).
  2. Auch hochwertige randomisierte klinische Studien zeigen spezifische Effekte, in denen Homöopathie dem Placebo überlegen ist (Perspektive Randomisierte Klinische Studien).
  3. Vier von fünf Metaanalysen zeigen eine statistische Überlegenheit der homöopathischen Arznei im Vergleich zu Placebo, allerdings ist die Anzahl hochwertiger Studien gering (Perspektive Metaanalysen).
  4. Auch in Experimenten mit Zellkulturen, Tieren und Pflanzen gibt es, mittlerweile reproduziert, Effekte, die eine spezifische Wirkung von Hochpotenzen zeigen (Perspektive Grundlagenforschung).
  5. Die Studienlage ist insgesamt nicht eindeutig beweisend, belegt aber hinreichend einen therapeutischen Nutzen. Mehr hochqualitative Forschung ist nötig, insbesondere Replikationen von positiven Studien.

Im Gegensatz zur mittlerweile emotional aufgeladenen Debatte, liegt mit diesem Forschungsbericht ein wichtiger Beitrag zur Versachlichung der Debatte auf der Basis von Daten vor.

Download des Berichtes: http://www.homoeopathie-online.info/wp-content/uploads/Der-aktuelle-Stand-der-Forschung-zur-Hom%C3%B6opathie-2016-WissHom.pdf

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