„Angesichts fehlender Plausibilität zu den Wirkprinzipien der Homöopathie ist es Mode geworden, deren therapeutische Wirksamkeit in Abrede zu stellen, obwohl die hierzu publizierte Evidenz für eine Wirksamkeit spricht“, schreibt Prof. Dr. Peter Matthiessen, Vorsitzender des Sprecherkreises des Dialogforum Pluralismus in der Medizin (DPM) und Leiter der Abteilung Methodenpluralität in der Medizin am Institut für Integrative Medizin (IfIM) an der Universität Witten/Herdecke, in einem lesenswerten Beitrag in der Zeitschrift für Onkologie, welcher von mehreren Ärztegesellschaften und 39 Ärzten und Forschern unterzeichnet wurde [Matthiessen 2018].

Matthiessen widerlegt hierin nicht nur die vielen, in den letzten Jahren von Kritikern gebetsmühlenartig vorgetragenen Argumente, die die Wirksamkeit der Homöopathie in Abrede zu stellen versuchen – er spricht von „unhaltbaren nationalen und internationalen Pauschalangriffen“ –, sondern geht auch auf juristische Aspekte ein. Konkret erwähnt er das Grundgesetz: „In einem laizistischen Staat wie Deutschland ist aber dem Staat gemäß §5 Abs. 3 des Grundgesetzes ein Wissenschaftsrichtertum im Sinne der Parteiergreifung für ein bestimmtes Paradigma grundsätzlich untersagt. […] Insofern ist es dem Staat verfassungsrechtlich untersagt, einen bestimmten Wissenschaftsansatz bzw. ein bestimmtes medizinisches Paradigma zu privilegieren.“

Das DPM, dem Matthiessen vorsitzt, habe sich ein geflügeltes Wort Hans-Georg Gadamers zu eigen gemacht, der im Alter von 100 Jahren nach der Quintessenz seiner Philosophie gefragt wurde: „Der Andere könnte Recht haben.“ Man führe kein Gespräch, wenn der Andere nicht Recht haben könnte. „Ein monoparadigmatischer Reduktionismus führt aber – bedacht oder nicht bedacht –“, so Matthiessen weiter, „am Ende stets in eine totalitäre Ideologie, für die die dogmatische Ideologie alles, der Respekt vor dem Selbststimmungsrecht des Bürgers, der Toleranz gegenüber Vertretern anderer Denk- und Praxisansätze, dem individuellen Erkenntnisstreben und der Achtung der Menschenwürde nichts bedeutet. Wollen wir eine solche durch totalitäre Strukturen geprägte Entwicklung in unserem Land für die Medizin und das Gesundheitswesen?“

Mit diesem Aufsatz Matthiessens wird der aktuellen Diskussion um die Homöopathie ein neuer, interessanter Aspekt hinzugefügt. „Der andere könnte auch Recht haben“ – so formuliert das DPM Gadamers Quintessenz. Die so genannte Skeptikerbewegung (vgl. dazu [Behnke 2017]) setzt sich darüber jedoch bewusst hinweg. Sie möchte nicht mehr diskutieren, hält alles für längst gesagt und bewiesen, so dass man die Homöopathie einfach nur noch abschaffen möchte.

Es ist erstaunlich, dass sich derart totalitäre Denkmuster „skeptisch“ nennen. Denn gerade der Skeptizismus läuft auf Gewaltenteilung hinaus. Odo Marquard, der vor wenigen Jahren verstorbene Gießener Philosoph, drückte es so aus: „Skepsis ist der Sinn für Gewaltenteilung“ (vgl. [Leonhardt 2003]). Ein politischer Pluralismus beispielsweise wäre ohne Skeptizismus gar nicht denkbar: Man misstraut dem Absolutismus, der Diktatur, der Monarchie oder anderen zentral gebündelten Machtstrukturen und setzt stattdessen auf die Trennung der Gewalten – weil es ja nicht ausgeschlossen ist, dass sich eine der Parteien irrt oder zu mächtig werden will, so dass mit der Gewaltenteilung immer schon ein Regulativ verbunden ist.

Im Alltag bedeutet das, dass ein vernünftiger Skeptizismus für Pluralismus einsteht und gerade nicht für Dogmatismus. Das kann auch auf Wissenschaften im Allgemeinen und die Medizin im Besonderen angewendet werden. Pluralismus hat der Medizin noch nie geschadet, war ja auch seit jeher die Regel, nicht die Ausnahme. Wahre Skeptiker sind also eher Pluralisten, die so genannten Skeptiker „skeptischer“ Organisationen tendieren dagegen zum Dogmatismus.

Literatur

Matthiessen PF: Homöopathie und intellektuelle Redlichkeit – Eine Stellungnahme. Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2018; 50: 172–177 https://doi.org/10.1055/a-0758-9471

Behnke J: Die Homöopathie und die Geschichte der Skeptikerbewegung in den USA. Zwischen Wissenschaftsdogmatismus und politischem Agendasetting. Zeitschrift für Klassische Homöopathie 2017; 61(3): 124-128. https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.1055/s-0043-117548

Leonhardt R: Skeptizismus und Protestantismus: Der philosophische Ansatz Odo Marquards als Herausforderung an die evangelische Theologie (Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie, Band 44). Mohr: Tübingen 2003, S. 109f