Interview mit Dr. Stephan Baumgartner zur homöopathischen Grundlagenforschung

Dr. sc. nat. Stephan Baumgartner

Dr. sc. nat. Stephan Baumgartner

Michael Teut: Sehr geehrter Herr Dr. Baumgartner, seit vielen Jahren betreiben Sie als Physiker Grundlagenforschung zu Natur und Wirksamkeit homöopathischer Arzneien, sowohl mittels physikalischer Methoden als auch mit Biotests. Was reizt Sie an diesem Forschungsgebiet?

Stephan Baumgartner: Homöopathische Präparate sind ein bemerkenswertes Phänomen. Seit rund zwei Jahrhunderten werden sie in der Medizin eingesetzt. Ärzte und Patienten berichten wiederholt von bemerkenswerten Heilungserfolgen in vielen Einzelfällen. Praxisbeobachtungsstudien zeigen bei akuten und chronischen Krankheiten Erfolgsraten homöopathischer Therapien, welche denjenigen konventioneller schulmedizinischer Therapien entsprechen oder diese sogar übertreffen. Gleichzeitig kenne ich keine Theorie, welche eine spezifische Wirksamkeit hochverdünnter Homöopathika im Rahmen der heutigen Wissenschaft erklären könnte. Handelt es sich also bei der Homöopathie „nur“ um eine verdeckte, aber hochwirksame Psychotherapie? Oder können homöopathische Präparate in der Tat spezifische Medikamenteneffekte ausüben oder Reaktionen auslösen, welche über diejenigen von Placebos (Scheinmedikamenten) hinausgehen? Wenn Letzteres zutrifft, weist die heutige Wissenschaft mit grosser Wahrscheinlichkeit beträchtliche Wissenslücken auf. Dies hat ein Berufskollege – Martin Lambeck – in seinem Buch „Irrt die Physik?“ sehr schön dargestellt. Dieser Frage fundiert nachzugehen, ist für mich persönlich ein äusserst spannendes und reizvolles Thema.

Michael Teut: Gerade ist eine weitere Publikation zu Ihren Wasserlinsen-Experimenten veröffentlicht worden. Was haben Sie hier untersucht und herausgefunden?

Stephan Baumgartner: Wasserlinsen sind Wasserpflanzen, welche routinemässig in standardisierten Tests zur Wasserqualität eingesetzt werden. Unsere Forschungsgruppe hatte untersucht, ob Wasserlinsen, welche vorgängig mit einer stofflichen Dosis Arsen im Wachstum gehemmt wurden, durch eine nachfolgende homöopathische Behandlung wieder in einem gewissen Sinn kuriert werden können. In der Tat beobachteten wir in einer Reihe von verblindeten Experimenten, dass homöopathische Potenzen von Arsen das Wachstum der Wasserlinsen eindeutig stimulierten. Dies war auch für Verdünnungsstufen der Fall, in denen rechnerisch kein Arsen der potenzierten Ausgangssubstanz mehr enthalten sein sollte. In einer gleich grossen Anzahl von Kontrollexperimenten untersuchten wir zudem die Stabilität des Untersuchungssystems und fanden keinerlei Hinweise auf Artefakte. Wir ziehen daraus den Schluss, dass wir hier mit grosser Wahrscheinlichkeit Effekte beobachteten, welche nur durch spezifische Eigenschaften der potenzierten Substanzen zu erklären sind. Mit anderen Worten: offenbar wurden durch den Potenzierungsprozess bestimmte Eigenschaften der Ausgangssubstanz Arsen an die höheren Verdünnungsstufen weitergegeben, welche dann bei der Anwendung auf die Wasserlinsen zu einer Wachstumssteigerung führten. Wie dies wissenschaftlich erklärt werden kann, ist noch völlig offen. In parallelen Experimenten mit Hefezellen konnten interessanterweise keinerlei Effekte einer homöopathischen Behandlung beobachtet werden. Worauf die unterschiedliche Reaktion der beiden Organismen im Einzelnen zurückzuführen ist, ist ebenfalls noch nicht geklärt.

Michael Teut: Wie würden Sie den derzeitigen Stand der homöopathischen Grundlagenforschung beurteilen?

Stephan Baumgartner: Es gibt eine ganze Reihe von qualitativ hochwertigen Untersuchungen, welche auf spezifische Eigenschaften homöopathischer Präparate hindeuten. Es gibt aber noch sehr viele offene und ungeklärte Fragen. Ein immer wieder beobachtetes Phänomen ist etwa, dass Ergebnisse innerhalb des eigenen Labors einfacher zu reproduzieren sind als in anderen Labors. Woran dies im Einzelnen liegt, ist noch nicht geklärt. Eine Hypothese ist die, dass die Wirkungen homöopathischer Präparate an Bedingungen gebunden sind, die wir noch nicht kennen. Ich vergleiche manchmal die derzeitige Situation der homöopathischen Grundlagenforschung mit derjenigen der Erforschung des Elektromagnetismus vor rund 300 Jahren: solange man nicht wusste, dass elektrostatische Ladungen durch Erdung neutralisiert werden können und dass somit die Luftfeuchtigkeit oder die Schuhsohlen des Experimentators den Ausgang von Experimenten beeinflussen können, waren elektrostatische Experimente schlecht reproduzierbar. Die Frage der Reproduzierbarkeit homöopathischer Effekte kann nur mit Geduld, sorgfältigst und penibelst durchgeführten Experimenten, guten Ideen und viel Arbeit verschiedener Forschergruppen gelöst werden.

Michael Teut: Wohin sollte sich die homöopathische Grundlagenforschung in der Zukunft bewegen?

Stephan Baumgartner: Es sollten sich mehr Forschungsgruppen bilden, welche in enger Zusammenarbeit die Bedingungen bestimmen, welche die Effekte homöopathischer Präparate beeinflussen bzw. bedingen können. Dies ist eine entscheidende Voraussetzung, um dem wissenschaftlich noch ungeklärten Wirkprinzip näher zu kommen. Zudem sollte die Zusammenarbeit zwischen theoretisch und experimentell tätigen Wissenschaftlern verbessert werden. Diese beiden Gebiete sind heute noch zu weit voneinander entfernt. Theorie und Experiment müssen einander befruchten, damit sich eine Wissenschaft entwickeln kann. Des Weiteren muss weiter geklärt werden, welche experimentellen Untersuchungssysteme für die Untersuchung homöopathischer Effekte am besten geeignet sind.

Michael Teut: Welchen Hypothesen zur Wirkungsnatur homöopathischer Präparate sind derzeit am wichtigsten, und welchen sollte in Zukunft am ehesten nachgegangen werden?

Stephan Baumgartner: Es kann zwischen sogenannt lokalen und nichtlokalen Theorien unterschieden werden. Die lokalen Theorien gehen davon aus, dass das noch unbekannte Wirkprinzip irgendwie im Arzneimittel fixiert oder gespeichert ist. Im Speziellen gibt es Hypothesen, nach denen im Homöopathikum – vergleichbar einem Buch oder einer CD – Informationen gespeichert sind, welche dann vom zu behandelnden Organismus aufgenommen werden und Reaktionen des Organismus hervorrufen. Als Informationsträger könnte etwa die Wasserstruktur (Bewegung und Anordnung der Wassermoleküle) dienen, oder elektromagnetische Felder. Hahnemann selber hatte von einer „geistartigen“ Wirkung homöopathischer Präparate gesprochen; wie dieser Terminus in die heutige Sprache übersetzt werden kann, ist meines Erachtens nicht restlos geklärt. Nichtlokale Theorien gehen davon aus, dass homöopathische Arzneimittel höchstens so etwas wie einen „Verweis“ auf eine immaterielle Struktur oder Prozess enthalten. Diese Strukturen bezögen sich zentral auf das Verhältnis von Therapeut und Patient und könnten vielleicht mit Jung’schen Archetypen in Verbindung gebracht werden. Die Hypothese, dass homöopathische Arzneimittel in der Tat nur Placebos sind, sich also in keinster Weise von Wasser, Alkohol bzw. Zucker unterscheiden, wird ebenfalls diskutiert, ist aber meines Erachtens nicht mit dem derzeitigen Stand der Forschung in Übereinstimmung zu bringen. Für die Zukunft erachte ich es als sinnvoll, mit den derzeit eingesetzten Modellen der Grundlagenforschung die möglichen Erklärungsmodelle grob zu sortieren. Verschiedene externe physikalische Behandlungen der Homöopathika (z.B. mit elektromagnetischen Feldern, Hitze, Kälte) sollten daraufhin untersucht werden, ob die Wirkung der homöopathischen Präparate dadurch modifiziert, aufgehoben oder gar nicht beeinflusst wird. Je nach Resultaten können dann verschiedene Hypothesen ausgeschlossen werden. Die verbleibenden Theorien könnten dann in weiteren Experimenten weiter eingeschränkt werden, sodass eine detaillierte Modellbildung ermöglicht werden sollte.

Michael Teut: Warum werden eigentlich die Ergebnisse der homöopathischen Grundlagenforschung in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen? Und was kann man dagegen tun?

Stephan Baumgartner: Hinter der homöopathischen Grundlagenforschung steckt keine Interessenslobby, welche mit viel Geld die erzielten Resultate publizistisch vermarktet. Ein Problem ist auch, dass viele Publikumsmedien oft nur auf die schnelle Sensation aus sind, dass etwa nun endlich „der Beweis für die Homöopathie“ gefunden wurde oder dass Homöopathie eben doch „nur ein Placebo-Effekt“ ist. Die wissenschaftliche Wahrheit lässt sich nicht auf so einfache Schlagzeilen reduzieren. Wissenschaft funktioniert auch nicht so, dass ein einzelner Wissenschaftler in einem Labor eine Entdeckung macht, die tags darauf die Welt revolutioniert. Wissenschaft ist auch ein eminent sozialer Prozess, der sich langsam entwickelt. In jahrelanger Kleinarbeit werden von verschiedenen Forschern Mosaikstein um Mosaikstein an Beobachtungen und Theorien zusammengetragen, bis sich daraus ein grosses Bild entwickelt, das sich vielleicht bald einmal andeutet, aber erst als vollständig gelten kann, wenn alle Teile gefunden wurden und richtig zusammengesetzt werden können. In der homöopathischen Grundlagenforschung sind wir immer noch daran, herauszufinden, welche Mosaiksteinchen überhaupt zu unserem Puzzle gehören. Diese anfängliche Phase jeder Wissenschaft ist schwierig zu kommunizieren, da wenig spektakulär und für Aussenstehende schlecht nachvollziehbar.

Michael Teut: Wir danken Ihnen für das Interview!

Dr. sc. nat. Stephan Baumgartner

Geboren 1965. Studium der Physik, Mathematik und Astronomie an der Universität Basel. Doktorat in Umweltnaturwissenschaften an der ETH Zürich. Post-Doc in der Abteilung Umweltphysik der EAWAG, Dübendorf. Seit 1996 Mitarbeiter in der Abteilung Grundlagenforschung im Institut Hiscia, Verein für Krebsforschung, Arlesheim, sowie an der Kollegialen Instanz für Komplementärmedizin (KIKOM) der Universität Bern (je 50%).

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Publikationen der Forschergruppe KIKOM

Ausgewählte Referenzen:

  • Jäger T, Scherr C, Wolf U, Simon M, Heusser P, Baumgartner S: Investigation of Arsenic-Stressed Yeast (Saccharomyces cerevisiae) as a Bioassay in Homeopathic Basic Research  ScientificWorldJournal 2011;11:568-583.
  • Jäger T, Scherr C, Simon M, Heusser P, Baumgartner S: Effects of homeopathic arsenicum album, nosode, and gibberellic acid preparations on the growth rate of arsenic-impaired duckweed (Lemna gibba L.). ScientificWorldJournal 2010;10:2112-2129.
  • Baumgartner S, Shah D, Schaller J, Kämpfer U, Thurneysen A, Heusser P: Reproducibility of dwarf pea shoot growth stimulation by homeopathic potencies of gibberellic acid. Complementary Therapies in Medicine 2008;16:183-191.
  • Scherr C, Simon M, Spranger J, Baumgartner S: Effects of potentised substances on growth rate of the water plant Lemna gibba L. Complement Ther Med 2009;17:63-70.
  • Lahnstein L, Binder M, Thurneysen A, Frei-Erb M, Betti L, Peruzzi M, Heusser P, Baumgartner S: Isopathic treatment effects of Arsenicum album 45x on wheat seedling growth–further reproduction trials. Homeopathy 2009;98:198-207.
  • Scherr C, Baumgartner S, Spranger J, Simon M: Effects of Potentised Substances on Growth Kinetics of Saccharomyces cerevisiae and Schizosaccharomyces pombe. Forschende Komplementärmedizin 2006;13:298-306.
  • Guggisberg AG, Baumgartner S, Tschopp CM, Heusser P: Replication study concerning the effects of homeopathic dilutions of histamine on human basophil degranulation in vitro. Complementary Therapies in Medicine 2005;13:91-100.

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