
Prof. Harald
IzH: Sehr geehrter Herr Professor Walach, ihr kürzlich erschienes Buch „Weg mit den Pillen“ ist eine Streitschrift. Mit wem streiten Sie denn?
Prof. Harald Walach: Mit all jenen, die immer noch das Gefühl haben, wir müssen in unserem Medizinsystem und in der medizinischen Wissenschaft einfach nur so weitermachen wie bisher, einfach mehr, schneller, grösser, und alles wird gut.
IzH: Lebensstilveränderungen werden sehr überzeugend in ihrem Buch als ein entscheidender Faktor für körperliche und seelische Gesundheit beschrieben. Dies macht deutlich, dass eine homöopathische Behandlung nicht auf den arzneilichen Teil beschränkt werden sollte. Auch Hahnemann hatte dies mit ausgiebigen diätetischen und ordnungstherapeutischen Empfehlungen für seine Patienten beherzigt. Wie modern sind Hahnemanns Empfehlungen?
Prof. Harald Walach: Hahnemann ist sehr aktuell. Wenn man ihn genau liest, hatte er eine kausale Therapie im Auge, und homöopathische Kügelchen nur als Ergänzung. Da wir heute sehr viel mehr wissen – etwa über den Einfluss von Giftstoffen, über die Bedeutung der Vitalstoffe, verschiedener Fette, über Kohlehydrat- und Zuckerstoffwechsel, über die Bedeutung der Regulation von Nahrungszufuhr – wären diese Lebensstilfaktoren und ihre Regulation Basis und kausale Therapie im Hahnemannschen Sinne, die vor der Therapie mit Kügelchen kommen müsste.
IzH: Ein weiterer Schwerpunkt ihrer Forschung und ihres neuen Buches ist der Placebo-Effekt. Was muß der homöopathische Praktiker beachten, um in einer homöopathischen Behandlung den Placebo-Effekt möglichst gut zu nutzen?
Prof. Harald Walach: Eigentlich nichts; denn Homöopathie maximiert durch ihr Ritual den Placebo- oder Selbstheilungs-Effekt ohnedies. Die Basiselemente dieser Maximierung sind in der Homöopathie stark vorhanden: Reduktion von Angst durch die Geborgenheit in einer therapeutischen Beziehung, die Entstehung von Sinn durch eine neue Deutung der Krankheit und die Ausrichtung auf neue Möglichkeiten durch das Beobachten von Veränderungen kleinster Art. Man muss einfach zwei Fehler vermeiden: allzugrosse Sicherheit und paternalistisches Auftreten und Unsicherheit. Wenn man sich selbst und den Patienten in der neugierigen Balance der fortlaufenden Beobachtung von positiven Veränderungen halten kann, dann ist der positive Kreislauf der Heilung eingeleitet.
IzH: Was ist unter den von Ihnen in Bezug auf die Homöopathie genannten Ähnlichkeiten mit magisch-symbolhaften Prozessen zu verstehen?
Prof. Harald Walach: Das ist für ein Interview etwas zu komplex; ich habe mich dazu mehrfach ausführlich geäussert. Aber vielleicht in Kürze: Wir sind es gewohnt in Kausalbeziehungen zu denken, deren Basis der Austausch von Energie ist. Ich bin der Meinung, dass es darüber hinaus auch noch andere, regelhafte Zusammenhänge gibt. Aristoteles hat dies unter dem Begriff der „formalen Kausalität“ gefasst. Diese Zusammenhänge kann man auch zur Veränderung nutzen. Sie sind natürlich und regelhaft, basieren aber auf einem anderen Prinzip. Sie kommen nicht durch „Informationsträger“ oder „Energie“ zustande, sondern rein durch die formalen Zusammenhänge. Das ist die Basis der Wirkung verschiedener Prozesse, von denen die Homöopathie ein Beispiel ist. Andere Beispiele sind magische Entsprechungen, bei denen durch Manipulation an inneren oder äusseren Bildern entsprechende Wirklichkeit beeinflusst wird. Homöopathie ist meiner Meinung nach einfach sehr systematisierte Magie. Deshalb wird man auch wahrscheinlich auf Dauer keine kausalen Signale in homöopathischen Arzneien finden. Das ist auch das Problem einer experimentellen Homöopathieforschung, die genau von dieser Voraussetzung ausgeht.
IzH: An der Viadrina Universität in Frankfurt/Oder bieten Sie einen Masterstudiengang für Komplementärmedizin, Kulturwissenschaften und Heilkunde an. Für wen ist dieser Studiengang gedacht und was sind die wesentlichen Inhalte?
Prof. Harald Walach: Unser Studiengang ist ein postgradual weiterbildender für fertige Ärzte, Therapeuten und Apotheker, die bereits Berufserfahrung haben und ihre Kenntnisse und vor allem die Reflexion über therapeutisches Handeln vertiefen wollen. Wir unterrichten in den Pflichtmodulen „Kultur-Kommunikation-Sprache“ geisteswissenschaftliche Elemente, die Grundlagen sind: verbale und non-verbale Kommunikation, Psychosomatik und Grundlagen einer semiotisch konzipierten Medizin, Achtsamkeit, Salutogenese und theoretisch-philosophische Grundlagen. In den Pflichtmodulen „Biologische Medizin“ werden für Einsteiger in die komplementärmedizinische Praxis einfache Prinzipien der Komplementärmedizin gelehrt, von der Naturheilkunde, über die manipulativen Techniken, Homotoxikologie bis hin zu einfachen Akupunkturtechniken. Dann bieten wir eine Reihe von Wahlmodulen an, mit denen man sich vertiefen kann. U.a. kann man dabei die Grundlagen für die Zusatzbezeichnungen Homöopathie und Naturheilkunde erwerben. Wir befassen uns aber auch mit Ethnomedizin, bieten eine Vertiefung in Forschungsmethodik an für die, die weiter Forschung machen wollen, oder diskutieren Fragen des Gesundheitssystems. Daraus entstand z.B. ein neues Hausarztmodell „Naturheilkunde“, das die BKK-Securvita mit Sonderverträgen unseren Studierenden und Ärzten mit der Zusatzbezeichnung anbietet. In Zukunft werden weitere Module, wie etwa Ayurveda, hinzukommen.
IzH: Sie haben sich in ihren beiden Promotionsarbeiten, ihrer Habilitationsschrift und einer Vielzahl von Veröffentlichungen mit der Homöopathie auseinandergesetzt. Was macht die Homöopathie für sie als Forschungsgegenstand so interessant?
Prof. Harald Walach: Homöopathie heilt mit „nichts“, im pharmakologischen Sinne. Das ist ein wissenschaftslogisches Paradox und gleichzeitig auch ein Paradebeispiel dafür, wie Selbstheilung funktioniert. Und das interessiert mich.
IzH: Haben Sie in ihren bisherigen Forschungen Hinweise dafür gefunden, dass eine homöopathische Hochpotenz auch eine spezifische Wirkung hat?
Prof. Harald Walach: Ja, immer wieder mal. Vor allem in den letzten Arzneimittelprüfungen, die wir gemacht haben, haben wir klare Indizien dafür gefunden, dass homöopathische Mittel anders wirken als Placebos.
IzH: Wo besteht weiterer Forschungsbedarf zur Homöopathie, welche Projekte sind von Ihrer Seite für die Zukunft geplant?
Prof. Harald Walach: Ich würde gerne mit diesen Arzneimittelprüfungen weitermachen, bin aber dafür noch auf der Suche nach Finanzierung. Ausserdem denke ich, dass der einzig sinnvolle Weg – ausser einer gezielten experimentellen Grundlagenforschung – der ist, dass man in pragmatischen Studien, randomisiert aber unverblindet, homöopathische Therapie mit konventionellen Ansätzen vergleicht auf Gebieten, wo die Homöoathie was zu bieten hat und die konventionelle Therapie aufgrund langfristiger Nebenwirkungen problematisch ist oder wenig aussichtsreich.
IzH: Wir danken Ihnen für dieses Interview.
Das Interview führte Jörn Dahler.
Professor Dr. Dr. Dipl. Psych. Harald Walach
Geboren 1957. Studium der Psychologie (Freiburg), klinischen Psychologie (Basel), Wissenschaftsgeschichte und Philosophie (Wien). Habilitation in Psychologie an der Uni Freiburg. Im vergangen Jahr wurde er an der Europa Universität Viadrina in Frankfurt/Oder auf eine Professur für Forschungsmethodik komplementärer Medizin und Heilkunde berufen. Er hat sich seit über 25 Jahren ausgiebig mit der Homöopathie auf wissenschaftlicher Ebene auseinandergesetzt und durch eine große Zahl eigener Studien Entscheidendes zum aktuellen Verständnis und zur Evaluation der Homöopathie beigetragen.
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Leseprobe „Weg mit den Pillen“
Ausgewählte Referenzen mit Bezug zum Thema
Bücher:
- Walach, Harald: Weg mit den Pillen. Selbstheilung oder warum wir für unsere Gesundheit Verantwortung übernehmen müssen. Eine Streitschrift. Irisiana Verlag, München 2011
- Walach, Harald: Wissenschaftliche Untersuchungen zur Homöopathie. Die Münchener Kopfschmerzstudie, Arzneimittelprüfung mit Belladonna. Edition Forschung. KVC Verlag, Essen 2000
- Walach, Harald: Homöopathie als Basistherapie. Plädoyer für die wissenschaftliche Ernsthaftigkeit der Homöopathie. Karl F. Haug Verlag, Heidelberg 1986
Wissenschaftliche Artikel:
- Walach H: Ganzheitliche Heilkunde – theoretische Überlegungen und der Versuch einer Vision. In: Heilkunde versus Medizin. Hrsg. Albrecht, Henning, Hippokrates Verlag, Stuttgart 1993
- Walach H: Magic of Signs: A Nonlocal Interpretation of Homeopathy. British Homeopathic Journal 2000; 89: 127-140
- Walach H: Entanglement model of homeopathy as an example of generalized entanglement predicted by Weak Quantum Theory. Forschende Komplementärmedizin und Klassische Naturheilkunde 2003; 10: 192-200
- Möllinger H, Schneider R, Walach H: Homeopathic Pathogenetic Trials Produce Specific Symptoms Different from Placebo: Forschende Komplementärmedizin und Klassische Naturheilkunde 2009; 16: 105-110
- Walach H, Möllinger H, Sherr J, Schneider R: Homeopathic pathogenetic trials produce more specific than non-specific symptoms: results from two double-blind placebo controlled trials. Journal of Psychopharmacology 2008; 22: 543-552 – Volltext