Homöopathie wird im modernen Web 2.0 sehr kontrovers und polarisiert diskutiert. Marius Beyersdorff zeigt am Beispiel des Artikels „Homöopathie“ in der deutschen Wikipedia auf der Basis einer Diskursanalyse nach Foucault, wie Wissen konstruiert wird und unter welchen Bedingungen und auf Basis welcher Konflikte es entsteht [Beyersdorff 2011]. Dazu hat der Autor das umfassende Diskussionsforum des Artikels über mehrere Jahre minutiös analysiert und die Muster, auf Basis derer der Artikel entstanden ist, und die Konflikte um die Deutungshoheit dargestellt.

Es handelt sich im Wesentlichen um die spannende Diskurshistorie zwischen Skeptikern, Befürwortern und ausgleichenden Subjekten. Die Argumentations- und Konfliktmuster sind lehrreich, insbesondere in der Analyse der sogenannten Edit-Wars, bei denen um die Deutungshoheit gestritten wird. Ein Schlüsselsatz der Arbeit ist: „Die Existenz verschiedener Modalitäten im Diskurs ist letztlich nicht entscheidend, sondern vor allem die Möglichkeit, die Modalität in Entscheidungsprozessen durchzusetzen, bzw. durchsetzen zu können“.

In Wikipedia besteht eine unmittelbare Relation von Wissensproduktion und Macht: Die in der Hierarchie höher gestellten Mitarbeiter haben mehr Macht, ihre Positionen in Edit-Wars z.B. durch Sperrungen des Artikels durchzusetzen. Der Prozess wird von demokratischen Prinzipien begleitet. Artikel beginnen oft anarchisch, im Fall von heftigen Konflikten setzen sich dann jedoch die Mitarbeiter auf den höchsten Hierarchie-Ebenen technokratisch und meritokratisch durch. Im Fall des Homöopathie-Artikels sind dies Menschen mit skeptischer Haltung mit szientistisch-naturwissenschaftlicher Grundverständnis, die sich über viele Jahre Mitarbeit bei Wikipedia in der Hierarchie nach oben gearbeitet haben und so Verfügungsgewalt über die Hebel der Wikipedia ausüben können.

Der Autor wirft zum Ende hin die Frage auf, warum Wikipedia hier offensichtlich mit dem partizipativem Ansatz („Jeder kann mit seinem Wissen dazu beitragen“) versagt? Aus Sicht des Autors liegt dies u.a. daran, dass neue Nutzer weniger Gestaltungsmöglichkeiten haben als ältere Nutzer: Wikipedia müsse daher Macht eingrenzen, um die Wissensbildung nicht durch „normative“ oder „ideologische“ Tendenzen zu beeinflussen.

Literatur

Beyersdorff M: Wer definiert Wissen? Wissensaushandlungsprozesse bei kontrovers diskutierten Themen in „Wikipedia – Die freie Enzyklopädie“ – Eine Diskursanalyse am Beispiel der Homöopathie. In Schriftenreihe Semiotik der Kultur / Semiotics of Culture. Lit Verlag, Berlin 2011