HTA Homöopathie – Fehlverhalten oder Rufmord?

Im Rahmen des Programms zur Evaluation der Komplementärmedizin (PEK) in der Schweiz wurde nicht nur die Metaanalyse von Shang et al. 2005 erstellt, die die Homöopathie negativ bewertet, sondern es wurde auch ein sogenanntes Health Technology Assessment beauftragt. Bei der nun folgenden Auseinandersetzung handelt es sich um ein seltsames Nachspiel des PEK:

Börnhoft et. al. fertigten 2006 das „Health Technology Assessment“ (HTA) zur Homöopathie an. Als HTA bezeichnet man einen Prozess zur systematischen Bewertung medizinischer Technologien, Prozeduren und Hilfsmittel, aber auch Organisationsstrukturen, in denen medizinische Leistungen erbracht werden. Dabei werden Wirksamkeit, Sicherheit und Kosten, jeweils unter Berücksichtigung sozialer, rechtlicher und ethischer Aspekte bewertet. HTAs sollen primär als Entscheidungshilfe bei gesundheitspolitischen Fragestellungen dienen: hier die Frage, ob Homöopathie in Zukunft erstattet werden soll. Dabei ist besonders die Alltagsrelevanz von Bedeutung, ist die bewertete Maßnahme im Alltag von Nutzen, sicher und ökonomisch?

Ziel des Homöopathie-HTA war es, die Art und Menge der wissenschaftlichen Publikationen, den Stand der präklinischen Forschung, die Wirksamkeit auf Grundlage systematischer Reviews und Meta-Analysen sowie die Sicherheit und Wirtschaftlichkeit der Homöopathie zu erfassen.

Das HTA Homöopathie kam unter Einbezug aller Evidenz am Ende zu einer positiven Bewertung: „Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass es ausreichende Belege für die präklinische (experimentelle) Wirkung und klinische Wirksamkeit der Homöopathie gibt und dass sie absolut und insbesondere im Vergleich zu konventionellen Therapien eine sichere und kostengünstige Intervention darstellt.“

Für die Homöopathie-Skeptiker stellt dieses HTA ein ständiger Dorn im Auge dar, vor allem seit die Publikation nun auch für Briten und Amerikaner ins Englische übersetzt wurde.

Nun erschien 2012 überraschend in der Swiss Medical Weekly eine Artikel von David M. Shaw, vom Institut für Biomedizinische Ethik an der Universität Basel, indem dieser den Autoren des HTA wissenschaftliches Fehlverhalten („scientific misconduct“) vorwarf.

Shaw begründet seine Anschuldigungen damit, dass die Autoren technisch falsch recherchiert hätten, nämlich nicht nur in Online-Datenbanken von Fach-Zeitschriften. Außerdem wirft er Ihnen vor, Studien einbezogen zu haben, die älter als 10 Jahre sind und Ergebnisse aus Beobachtungsstudien der Versorgungsforschung einbezogen zu haben. Die Autoren hätten zudem ihren „Conflict of Interest“ nicht angegeben, der darin bestünde, dass sie „Homöopathen“ seien und somit an positiven Ergebnissen zwangsläufig interessiert sein müssten. Shaw zweifelt dann an der wissenschaftlichen Integrität der Autoren und erhebt schwerwiegende Vorwürfe:

“… the authors have distorted the evidence and misled the public; these actions, combined with their conflicts of interest, strongly suggest that they are guilty of research misconduct.“

Die Autoren des HTA haben nun ein Erwiderungsschreiben in der gleichen Zeitschrift publiziert, indem Sie schildern, dass genau diese umfassende Literaturrecherche in allen verfügbaren Datenbanken und auch außerhalb der Online-Kataloge der normaler Standard für HTAs ist, um nämlich alle verfügbare Evidenz abzubilden, dass der Einbezug von Daten aus der Versorgungsforschung gerade für die Zwecke des HTA zusätzlich zu RCTs notwendig ist, nämlich um alltagsrelevante Wirkungen zu beurteilen (externe Validität statt nur interner Validität). Außerdem wehren sie sich dagegen, dass die Bezeichnung „Homöopath“ an sich ein Interessenskonflikt im Sinne der Publikationsregeln sein soll.

Die Autoren des HTA schlussfolgern: „…that the article by David Martin Shaw constitutes an accumulation of false claims, indefensible allegations and defamatory remarks without any justification in content. In our opinion, Shaw’s article and the arguments contained therein do not in any way meet the minimum requirements of a scientific paper. (…) David M. Shaw appears to attack homoeopathy, using pseudoscientific arguments and flouting intellectual integrity and honesty in a way that goes beyond the realm of scientific work. Having considered all arguments we state: In clinical studies, taking internal and external validity criteria into account, effectiveness of homoeopathy can be seen as clinically evident, and certified application as safe.

Über den Artikel von Shaw kann man sich nur wundern, kritisierte er doch nicht die wissenschaftliche Arbeit und Technik der Autoren an sich, sondern beurteilt die Autoren auf der Basis von allgemeinen Regeln für wissenschaftliches Arbeiten, die so gar nicht gültig sind, wie dies auch die Autoren in ihrem Erwiderungsschreiben präzise darlegen.

Wie ist dies zu verstehen?  Homöopathie-Skeptiker greifen in den letzten Jahren zunehmend Wissenschaftler an, die mit konventionellen Forschungs-Methoden zu Homöopathie forschen und positive Ergebnisse berichten. Kritik an sich ist in der Wissenschaft notwendig und sinnvoll. Wenn aber die wissenschaftliche Sachlichkeit überschritten wird und die Kritik den Charakter eines persönlichen Feldzuges mit diffamierendem Charakter annimmt, werden die Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis mit Absicht verletzt. Sollen hier wissenschaftliche Fürsprecher der Homöopathie mundtot gemacht werden? Stellen positive Forschungsergebnisse für Homöopathie für Skeptiker einen materialistischen Tabu-Bruch dar, der geahndet werden soll?

Genau dies ist eben nicht Sinn der evidenzbasierten Medizin (EBM). Sie möchte nämlich, auf der Basis wissenschaftlicher Forschungsergebnisse, systematisch nach dem klinischem Nutzen für den einzelnen Patienten suchen. Die Ausgrenzung von Methoden, nur weil sie grundlegend theoretisch als nicht plausibel erachtet werden, ist keine Haltung der EBM, sie vermag klinischen Nutzen auch zu erfassen, ohne dass Wirkmechanismen bekannt sind. Insoweit kann man auf eine erneute Stellungnahme des Autors Shaw gespannt sein.

Prof. Harald Walach vermutet in seinem lesenswerten Beitrag zu dieser Kontroverse im CAM Media Watch Blog (http://www.cam-media-watch.de/?p=15041) einen weitergehenden Verdacht: „Der vermeintliche Aufstand um Daten, Wissenschaftlichkeit, Ehrbarkeit und Saubermannstum ist Augenauswischerei, um zu verschleiern, um was es tatsächlich geht: um politisch-wirtschaftliche Interessen. Denn wenn es nur um Wissenschaft ginge, dann müsste man die Homöopathie nicht aktiv bekämpfen. Dann könnte man warten, bis sich die Frage von selbst erledigt. Wirtschaftlich machen die Konsultationen der Komplementärmedizin in Studers Daten 0.2 Prozent aus, also einen verschwindend kleinen Teil. Der Punkt ist: all die Patienten, die Homöopathie und Co. in Anspruch nehmen, hören auf, regelmäßig ihre Pillen zu schlucken, weil sie sie nämlich nicht mehr brauchen. Das ist die eigentliche Thematik. Eine Gegenkultur etabliert sich und gräbt den etablierten Kräften das Wasser ab. Warum also die ethisch-moralische Keule ausgerechnet hier?“

Am Ende hat übrigens in der Schweiz eine politische Volksabstimmung die Frage entschieden, ob Homöopathie weiter von der Krankenversicherung getragen werden soll. Die Schweizer haben sich mehrheitlich für eine Erstattung der Komplementärmedizin ausgesprochen, inklusive Homöopathie.

Referenzen

Shaw DM. The Swiss report on homeopathy: a case study of research misconduct. Swiss Med Wkll; 2012 (142):w13594

von Ammon K, Bornhöft G, Maxion-Bergemann S, Righetti M, Baumgartner S, Thurneysen A, Wolf U, Matthiessen PF. Familiarity, objectivity – and misconduct: Counterstatement to Shaw DM. The Swiss Report on homoeopathy: a case study of research misconduct. Swiss Med Wkly. 2012;(142):w13594. Swiss Med Wkly. 2013;(143):0

Bornhöft G, Matthiessen PF. Homöopathie in der Krankenversorgung – Wirksamkeit, Nutzen, Sicherheit und Wirtschaftlichkeit. Frankfurt am Main: VAS – Verlag für Akademische Schriften. 2006.

 

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